QUALITÄT IN DER MEDIZIN

von Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder

Kaum sprechen Politiker, Patientenanwälte oder Fachhochschulabsolventen der Gesundheits-Ökonomie über Gesundheitspolitik, wird auch schon der Begriff “Qualität” in den Mund genommen, möglichst häufig in Interviews oder Zeitungsartikel verwendet und nach Möglichkeit in Kombination mit Begriffen wie Zukunft, EU-konform und Effizienz verknüpft. Interessant dabei ist, dass es bis heute kein “offizielles” Benchmarking bezüglich der Behandlungsqualität im Vergleich zwischen österreichischen Krankenhäusern oder gar innerhalb der EU gibt und zumindest aus unserer Sicht die meisten gesundheitspolitischen Entscheidungen auf der Basis von Meinungen sogenannter “Gesundheitsexperten”, Länder- und Politikerinteressen und publizierten Studienergebnissen aus Staaten mit anders aufgebauten und daher kaum vergleichbaren Gesundheitssystemen beruhen. Ich werde in diesem kurzen Übersichtsartikel aus der Sichtweise des Vorstandes von Quali-Med das Thema Qualität und Qualitätsmessung in der Medizin behandeln.

Was versteht man überhaupt unter Qualität in der Medizin und wie wird sie gemessen ?

Blickt man ins Internet, findet man zum Qualitätsbegriff folgende komplexe Definition: “Qualität ist die Bezeichnung einer wahrnehmbaren Zustandsform von Systemen und ihrer Merkmale, welche in einem bestimmten Zeitraum anhand bestimmter Eigenschaften des Systems in diesem Zustand definiert wird”. Aus der Sicht eines Mediziners und wohl auch der meisten Patientinnen und Patienten ist medizinische Qualität mit dem Erreichen eines Gesundheitszustandes gleichzusetzten, der vor Auftritt einer akuten oder Verschlechterung einer chronischen Erkrankung bestanden hat. Wird die Heilung oder der verbesserte Patientenzustand in möglichst kurzer Zeit und ohne Komplikationen erreicht, so wird die Qualität der Behandlung gemeinhin als gut empfunden.

In der Praxis können für definierte klinische Diagnosen relativ leicht Krankenhausaufenthalte, Wiederaufnahmen, die Anzahl der mit dieser Diagnose innerhalb eines definierten Zeitraumes Verstorbenen oder an andere Krankenhäuser transferierter Patienten und deren Behandlungskosten verglichen werden. Bereits damit erhält man einen hervorragenden Einblick in medizinische Behandlungsqualität. Kurze Krankenhausaufenthaltsdauer, geringe Transferraten in andere Krankenhäuser und moderate Behandlungskosten weisen eindeutig auf eine hohe Behandlungsqualität, geringe Komplikationsraten und einen sparsamen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen hin. Um diese Ergebnisse zu verfeinern, können zusätzlich die Daten innerhalb definierter Altersgruppen und zwischen Patienten mit definierten Zusatzdiagnosen ausgewertet werden. Alle diese Datensätze sind sowohl bei den österreichischen Sozialversicherungen als auch in den Gesundheitsabteilungen der Bundesländer vorhanden.

Leider haben wir im Laufe der Jahre den Eindruck bekommen, dass Analysen dieser Daten kaum zur Steuerung in der Gesundheitspolitik eingesetzt werden. Stattdessen werden immer wieder Vergleiche mit anderen EU-Staaten bemüht, um gesundheitspolitische Entscheidungen und Reformmaßnahmen zu begründen. In diesem Zusammenhang drängt sich allerdings die Frage auf, ist inwieweit überhaupt EU-Länder untereinander verglichen werden können. Zur Beantwortung dieser wichtigen Frage kann uns eine im Jahr 2012 in der renommierten medizinischen Zeitschrift “The Lancet” publizierte Studie helfen. Die Studienautoren unter der Leitung von Rupert Pearse haben in einem Zeitraum von 7 Tagen Daten von insgesamt fast 50.000 operierten Patienten aus 28 Ländern der Europäischen Union gesammelt. 486 Europäische Krankenhäuser haben an der Studie teilgenommen. 60% der Krankenhäuser waren Universitätskliniken. Mit Ausnahme von Patienten mit Herz- oder neurochirurgischen Operationen wurden alle Patienten mit geplanten und ungeplanten anderen operativen Eingriffen ausgewertet. Die Hauptfragestellung der Studie war, wie viele Patienten nach chirurgischen Eingriffen innerhalb von 60 Tagen versterben.

Abbildung 1 zeigt das wichtigste Ergebnis der Studie. Die mittlere perioperative Mortalität der im EU Raum operierten Patienten lag bei 4%. Im Ländervergleich variierte die Sterblichkeit zwischen 1,1% (Island) und 23% (Lettland)!!! Dieser Umstand weist unserer Meinung nach eindeutig auf schwere Mängel in manchen europäische Gesundheitssystemen hin und zeigt, dass ein unmittelbarer Vergleich länderspezifischer Gesundheitssysteme innerhalb der EU weder möglich ist noch für vernünftige gesundheitspolitische Entscheidungen in Österreich oder seinen Bundesländern herangezogen werden kann.

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Wir haben uns erlaubt einen Vergleich mit zwei österreichischen Krankenanstalten mittlerer Größe aus den Bundesländern Oberösterreich und Tirol anzustellen, deren Daten aus dem Jahr 2012 uns vollständig vorliegen. Beide Häuser haben einen onkologischen Schwerpunkt und sind von den operativen onkologischen Eingriffen her vergleichbar. Die operative Mortalität war mit 0,5 % halb so groß wie das beste Länderergebnis in der von R. Pearse publizierten Studie (rote Balken in Abbildung 1) . Die Gesamtmortalität aller Patienten im Krankenhaus (konservative und operative Fälle) lag in beiden Krankenhäusern um 1,2 % (helle Balken in Abbildung 1). Diese qualitativ hervorragenden Ergebnisse sind unserer Meinung nach auch stellvertretend für einen großen Teil der österreichischen Spitalslandschaft.

Was ist unserer Meinung nach zu tun, um die medizinische Qualität in österreichischen Krankenanstalten zu erhalten und weiter zu entwickeln ?

Das Bundesministerium für Gesundheit versucht derzeit ein bundesweit einheitliches Instrument zur Messung der Ergebnisqualität in österreichischen Krankenanstalten einzuführen. Dabei werden diagnosebezogen statistische Auffälligkeiten – z.B. bei den Todesfällen in Krankenanstalten – gesucht. Auffälligkeiten dieser “Austrian Inpatient Quality Indicators” geben Anlass zur Visitation der betreffenden Krankenanstalten und Abteilungen durch medizinische Experten anderer Krankenhäuser. Die Experten evaluieren gemeinschaftlich vom Bundesministerium definierte Krankenakte und zeigen mögliche Defizite in der medizinischen Behandlung, der interdisziplinären Kommunikation oder auch Mängel in Krankenhausstrukturen auf, die Anlass für Verbesserungen geben sollen. Wir halten dieses Projekt für eine sehr positive Entwicklung! Allerdings ist dieses System unserer Meinung nach nicht geeignet, um von “den Besten” zu lernen. Es wäre daher genauso sinnvoll Krankenanstalten und Abteilungen zu besuchen, die auf bestimmte Diagnosen bezogen auffällig gute Ergebnisse (d.h. niedrige Todesraten, kurze Krankenhausaufenthalte, geringe Komplikationsraten) aufweisen, um die dortigen Behandlungsstandards und Strukturen genau zu untersuchen und diese Qualität letztlich auch auf andere Krankenanstalten übertragen zu können. Ein derartiges System wäre besonders zur Steuerung von Patientenströmen innerhalb verschiedener Krankenanstalten geeignet und würde unserer Ansicht nach die derzeitige Politik unkritischer Zentralisation nachhaltig verändern.

Die medizinische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat nicht nur eine allgemeine Lebensverlängerung mit sich gebracht, sondern auch zahlreiche neue Krankheitsbilder geschaffen. Große operative Eingriffe und aggressive Therapien werden in immer größerer Zahl auch bei sehr alten und in hohem Maße vorerkrankten Patienten durchgeführt. Diese Patienten werden unserer Meinung nach häufig nicht ausreichend über Komplikationen und Belastung der medizinischen Behandlung aufgeklärt; der Gewinn an Lebenszeit oder Lebensqualität ist deshalb oft nur marginal oder gar nicht vorhanden, während die mit diesen Behandlungen verbundenen Gesundheitsausgaben enorm sind. Möglicherweise ist durch die zunehmende medizinische Spezialisierung und das immer striktere Arbeitszeitgesetz den medizinisch Verantwortlichen auch die Kenntnis der Krankheitsverläufe über längere Zeiträume abhanden gekommen. Zusätzlich wird dieses System auch durch neue Arbeitsverträge mit Abteilungsleitern gefördert, deren Einkommen teilweise an die Rekrutierung möglichst vieler LKF-Punkte verbunden ist. Wir empfinden ein derartiges Honorierungssystem als unethisch und für Patienten gefährlich! In jedem Fall fehlt nach unserem Empfinden eine systematische Auseinandersetzung und kritische Diskussion der Ergebnisqualität aggressiver Behandlungsmethoden bei alten, schwer vorerkrankten Patientinnen und Patienten. Eine solche Diskussion könnte jedoch einen entscheidenden Einfluss auf zukünftige Indikationsstellungen, eine Verminderung von physischem und psychischem Leid und langfristig eine flächendeckende Sicherstellung der qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung in Österreich bewirken.

Unserer Meinung nach haben Patientinnen und Patienten nicht nur ein Anrecht darauf uneingeschränkt über Komplikationen, Risiken und alternative Behandlungsmethoden zum Eingriff aufgeklärt zu werden; nach unserem Verständnis ist auch zu fordern, dass dieser aufgeklärte mündige Patient im Falle eines operativen Eingriffes bereits im Vorfeld seine persönlichen Wünsche für ein “Worst-Case-Szenario” im Sinne einer Patientenverfügung festlegt! Durch eine derart offene Kommunikation kann einerseits viel persönliches Leid vermieden und andererseits eine ökonomisch sinnvolle und ethische Medizin betrieben werden.

Es gibt zahlreiche andere Entwicklungen in der österreichischen Medizin – beginnend mit der Reform des Medizinstudiums bis hin zum EU-konformen Arbeitszeitgesetz –, die aus unserer Sicht die medizinische Qualität des nach wie vor ausgezeichneten österreichischen Gesundheitssystems in Zukunft gefährden. Wir werden in künftigen Artikeln auch zu diesen Entwicklungen kritisch Stellung beziehen.

 

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