KRITISCHE BETRACHTUNGEN ZUR “PFLEGEKOMPETENZERWEITERUNG” AUS ÄRZTLICHER SICHT

Gastkommentar von Ao. Univ.-Prof. Dr. Barbara Friesenecker
Universitätsklinik für Allgemeine und Chirurgische Intensivmedizin
Medizinische Universität Innsbruck

2014 wurde eine Gruppe von Pflegepersonen beauftragt gemeinsam mit Expertinnen der “Gesundheit Österreich GmbH” einen Arbeitskatalog zum Thema „Pflegekompetenzerweiterung“ in verschiedenen medizinischen Spezialfächern zu erarbeiten mit dem Ziel typisch ärztliche Tätigkeiten von Pflegekräfte übernehmen zu lassen.  Dies geschah ohne Vertreter ärztlicher/wissenschaftlicher  Fachgesellschaften über dieses Projekt im Vorfeld zu informieren oder in irgendeiner Form in die Erarbeitung des Themas mit einzubinden. Entstanden ist dabei  ein ca. 200 seitiges Werk, das im Herbst 2014 den medizinisch, wissenschaftlichen Fachgesellschaften, so auch der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI),  mit einer  kurzen Begutachtungsfrist zur Stellungnahme vorgelegt wurde.

Aus einem langen Katalog von Ideen möchte ich Ihnen exemplarisch einige Beispiele von Pflegekompetenzerweiterung aus meinem eigenen Fachgebiet, der Anästhesie, Notfallmedizin und Intensivmedizin anführen, die zeigen, dass hier für uns ÄrztInnen und unsere Standesvertretungen/ Fachgesellschaften dringender Handlungsbedarf besteht, um drohenden, größeren Schaden für die von uns betreuten PatientInnen abzuwenden:

  • das selbstständige Durchführen von Anästhesien bei weitgehend gesunden PatientInnen in allen Altersgruppen (d.h. zum Beispiel also auch bei sehr kleinen Kindern !)
  • Selbstständige Interpretation von EKG, Thoraxröntgen- und  Laborbefunden und das Ableiten notwendiger therapeutischer Handlungen aus diesen Untersuchungen
  • Selbstständige Indikation und Durchführung von extrakorporalen Verfahren (unter extrakorporalen Verfahren verstehen IntensivmedizinerInnen z.B. die Durchführung von  Nierenersatzverfahren oder Verfahren zum teilweisen oder vollständigen Lungen- oder Herzersatz)
  • die selbstständige Indikation und Durchführung von intensivmedizinischen Lagerungstherapien z.B. bei bestimmten Formen des Lungenversagens
  • etc … etc…

Ähnlich realitätsfremde und Patienten gefährdende Vorschläge in Bezug auf Pflegekompetenzerweiterungen finden sich auch in anderen medizinischen Fachgebieten, z.B: der Chirurgie.

Bemerkenswert erscheint, dass in diesem Entwurf zur Pflegekompetenzerweiterung  in keiner Weise über Verantwortlichkeit geschrieben wird. Dies erschiene aber umso wichtiger als ärztliche Tätigkeiten im  Bereich der  Anästhesie, Intensivmedizin oder Chirurgie niemals risikofrei sind und Verantwortung und Zuständigkeit sowohl im derzeitig gültigen Österreichischen Ärztegesetz als auch im Österreichischen Krankenanstalten Gesetz bisher klar geregelt sind. Von politischer Seite wurde uns, quasi unter der Hand, eindeutig zu verstehen gegeben, dass es angedacht ist, zukünftig die derzeit bestehende Gesetzesgrundlagen so  abzuändern, dass diese neuen „Pflegetätigkeiten“ rechtlich möglich sind.  Wer im Falle einer auftretenden Komplikation im Rahmen eigenständigen, pflegerischen Handelns dann dafür endgültig die Verantwortung trägt, bleibt derzeit dahingestellt.

Als Ärztin frage ich mich,  warum ich überhaupt  eine so lange und zeitaufwendige Ausbildung (6 Jahre Medizinstudium und 6 Jahre Facharztausbildung) gemacht habe, wenn weitreichendes selbständiges medizinisches Handeln mit sehr viel kürzerer Ausbildungszeit (3 Jahre Masterstudium im Pflegebereich) erreichbar ist mit praktisch gleichen Rechten, nicht aber mit gleichen Pflichten.  Aus  ärztlicher Sicht erfordert selbstständiges diagnostizieren, indizieren und behandeln eine gründliche theoretische und praktische Ausbildung, die für ÄrztInnen insgesamt 12 Jahre dauert und erst nach Abschluss einer schweren und umfassenden Facharztprüfung eigenverantwortliches, ärztliches Handeln vor dem Gesetz erlaubt.  Selbstverständlich dürfen und müssen bei der bestehenden Personalknappheit immer wieder in der täglichen medizinischen Praxis ärztliche Handlungen teilweise an Pflegepersonen delegiert werden, um PatientInnen zeitnahe versorgen zu können. „Delegation ärztlicher Tätigkeit“ bedeutet  -positiv gelebt – aber immer, dass ÄrztInnen anwesend oder unmittelbar verfügbar  sein müssen, die  die medizinische Verantwortung für den Eingriff/die Behandlung persönlich tragen.  Das bedeutet, dass die Pflegeperson in diesem Fall nur unter strenger ärztlicher Aufsicht und Verantwortlichkeit – und nicht eigenverantwortlich – primär ärztliche Tätigkeiten durchführt!

Es ist zu befürchten, dass derartige politische motivierte  Änderungsvorschläge, die ohne die Mitarbeit und Expertise medizinisch kompetenter VertreterInnen der verschiedenen Fachgesellschaften erstellt werden, schnell und langfristig zu einem beträchtlichen Qualitätsverlust in der medizinischen Betreuung kranker Menschen führen wird.

Als medizinische ExpertInnen rechnen wir daher mit:

  • einer  Zunahme der perioperativen Mortalität
  • dem Beginn einer von uns ÄrztInnen sicher  nicht gewünschten wirklichen „Zwei- oder Dreiklassenmedizin“
  • einer signifikante  Verschlechterung der Ausbildung unserer Jungärzte und Ärztinnen

Bezüglich eines spürbaren Qualitätsverlustes in der Behandlung unserer PatientInnen gibt es zumindest aus dem Fachgebiet der Anästhesie bereits sehr gute Daten – auch aus dem Ausland. So ist z.B. in Australien, wo Anästhesien nur von FachärztInnen durchgeführt werden die Anästhesie bezogene Sterblichkeit ca. 3,5- fach niederer als in Frankreich und etwa 7,3-fach niederer als in den Niederlanden. Sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden werden Narkosen auch von Pflegepersonen durchgeführt.

Weiters möchte ich explizit darauf hinweisen, dass das von der Gesundheit Österreich GmbH gemeinsam mit PfegeexpertInnen angedachte Modell einer Pflegekompetenzerweiterung nichts mit dem oft genannten schweizerischen Modell von ärztlich überwachten Pflegenarkose zu tun hat, bei dem nachweislich KEIN ärztliches Personal eingespart und auch insgesamt KEINE Kosten im Gesundheitssystem reduziert wurden. „Delegation ärztlicher Kompetenz“ im Schweizer Modell bedeutet eine Übertragung von einzelnen, strikt definierten  anästhesiologischen Tätigkeiten  nach ärztlicher Prüfung des jeweiligen Patientenzustandes, Art des Eingriffs und der Qualifikation und Erfahrung der jeweiligen Pflegekraft, wobei ein Facharzt für Anästhesie unmittelbar und jederzeit verfügbar sein muss!

Kompetenzerweiternde Modelle

Wir dürfen mit dem  Thema der Pflegekompetenzerweiterung in Österreich, das auf Grund eines massiven schriftlichen Protestes der ÖGARI im Herbst 2013 derzeit politisch in den  Hintergrund   gespielt wird, nicht leichtfertig umgehen, denn die bestehenden Pläne, die ohne Rücksprache mit uns Ärzten erstellt wurden, könnten unserem Berufsstand und vor allem unseren PatientInnen – falls unwidersprochen umgesetzt, in vielerlei Hinsicht schweren Schaden zufügen.

In jedem Fall werden wir Sie als gesundheitspolitisch interessierte Leser/Leserinnen über die Quali-Med Homepage (www.Quali-Med.com.at)  über weitere Entwicklungen am Laufenden halten.

Comments are closed.