GUTES BLUT – BÖSES BLUT

von Prim. Univ.- Prof. Dr. Walter Hasibeder

Immer wieder wird in den Medien darauf hingewiesen, wie gefährlich die Gabe von Fremdblut für Patienten sein kann und wie viele Menschen an  Komplikationen der Transfusion versterben. Tatsächlich gibt es in der medizinischen Literatur zahlreiche Hinweise auf Immunssystem- supprimierende Wirkung von Fremdblutbestandteilen und daraus resultierenden Infektionskomplikationen z.B. auf der Intensivstation und nach großen Operationen. Blutbestandteile können aber auch selbst Unverträglichkeitsreaktionen mit Organschädigungen z.B. der Lungen auslösen. Leider werden  Debatten über den medizinischen Nutzen von Blutprodukten meist sehr emotional geführt und so ist es nicht verwunderlich, dass von manchen medizinischen Experten  sehr einseitige Stellungnahmen zur Transfusionsdiskussion in die Öffentlichkeit getragen werden und der Eindruck entstehen mag, dass die Gabe von Blutprodukten dem Patienten eher schadet als nützt.

Eine neue Studie vergleicht eine sehr restriktive Transfusionsindikation (Erythrozytenkonzentrate wurden erst bei Hämoglobinwerten unter 70g/l Blut verabreicht) mit einer liberalen Strategie (der Hämoglobingehalt des Blutes wurde bei dieser Gruppe knapp über 90g/l Blut gehalten) bei Patienten, die aufgrund ausgedehnter Tumorerkrankungen einem großen operativen Eingriff unterzogen wurden.  Die Studie ist deshalb wichtig, da die perioperative  Anämie  (=Blutarmut) ein erhebliches Problem gerade in der onkologischen Chirurgie darstellt. Die Ursachen der sogenannten “Tumoranämie” sind dabei mannigfaltig. Mangelernährung, das Tumorstadium selbst, eine präoperative durchgeführte Chemo- oder Radiotherapie sowie immunologische Phänomene führen über eine Hemmung der Neubildung von Erythrozyten im Knochenmark  zur Anämie. Intraoperativ und postoperativ wird die Anämie durch anhaltenden Blutverlust, systemische Entzündungsreaktionen und Infusions-bedingte Blutverdünnung  verstärkt.

Vor großen tumorchirurgischen Eingriffen zeigen bereits 25%-75% der Patienten eine Blutarmut, d.h. nach der Definition der Anämie durch die Weltgesundheitsorganisation liegt der Hämoglobingehalt dabei bei weiblicher Patienten unter 120g/l, bei männlichen Patienten unter 130g/l Blut. Ein restriktiver Transfusionstrigger von 70g/l Hämoglobin, als jener Grenzwert unter dem erstmals eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erwogen werden sollte, entspricht dem heutzutage üblichen klinischen Vorgehen bei Patienten ohne vorbestehende schwere Herzkreislauf- oder Lungenerkrankungen.

In der vorliegenden Studie wurden Erwachsene die wegen bösartiger Speiseröhren- , Magen-,Bauchspeicheldrüsen-, Leber- , Dickdarm- oder Harnblasentumoren radikal operiert werden mußten, in die oben beschriebenen Studiengruppen aufgeteilt.  Im Falle der Notwendigkeit zur Transfusion von Erythrozyten mussten die  verabreichten Konzentrate  leukozytenarm und durften nicht älter als 35 Tage sein.  Der primär untersuchte Studienparameter  war der innerhalb von 30 Tagen nach Studieninklusion auftretende Tod bzw. die auftretende schwere klinische Komplikation wie z.B. ein akuter Herzinfarkt, ein postoperatives Herz-, Nieren- oder Lungenversagen, der akute Schlaganfall oder eine Lungenembolie.

Tod oder schwere Komplikationen traten  in der Restriktiven fast doppelt so häufig auf wie in der liberalen  Transfusionsgruppe (35,6% vs. 19,6%). Die 30 Tage Sterberate war in der restriktiven Gruppe deutlich höher als in der liberal transfundierten Patientengruppe (23% gegenüber 8,2%).

Die Studien Autoren empfehlen aufgrund ihrer Ergebnisse bei onkologischen Patienten mit großen chirurgischen Eingriffen den Transfusionstrigger höher, also um 90g/l, anzusetzen. Diese Empfehlung deckt sich mit anderen Studien der jüngeren Literatur, in denen vor allem ältere Patienten inkludiert waren: Eine Blutarmut erhöhte in diesen Untersuchungen das Risiko von Tumorabsiedelungen und Tumorrezidiven nach Operationen. Experten spekulieren derzeit ob eine durch Anämie ausgelöste Sauerstoffmangelsituation im Tumorgewebe selbst dabei eine Rolle spielen könnte.  Anämie scheint demnach Tumorzellen aggressiver zu machen! Es scheint als ob die Anämietoleranz von Tumorpatienten im Vergleich zu anderen Patientengruppen herabgesetzt ist. Weitere postoperative Faktoren die das Überleben des Tumorpatienten mit Anämie negativ beeinflussen sind natürlich auch das Alter, etwaige Organvorerkrankungen und die Geschwindigkeit mit der sich eine Anämie entwickelt.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Gabe von allogenen Blutprodukten ebenfalls negative Effekte auf den postoperativen klinischen Verlauf von Patienten haben. Transfusionen erhöhen das Risiko postoperativer nosokomialer (=im Kranbkenhaus erworbener) Infektionen und können das Risiko für Tumorrezidive ebenfalls über immunologische Mechanismen erhöhen. Trotzdem scheinen bei onkologischen Patienten die Vorteile einer rationellen Transfusionstherapie mit höherem Transfusionstrigger (9g%) gegenüber den möglichen Nachteilen zu überwiegen.

Diese Untersuchung zeigt wieder einmal wie komplex klinisch therapeutische Entscheidungen auch in Hinblick auf die Gabe von Blutprodukten sind. Die klinische Entscheidungen zur Verabreichung von Blutprodukten kann nicht nach  “Kochbuchrezept” oder Extremstandpunkten einiger “Experten” erfolgen. Die aktuelle Erkrankung des Patienten, sein Alter, seine Leistungsfähigkeit und seine Vorerkrankungen müssen im Rahmen eines sehr individualisierten Entscheidungsprozesses berücksichtigt werden. Blut ist weder gut noch böse – es handelt sich um ein hochpotentes, oft lebensrettendes Arzneimittel, dessen Dosis bezogen auf die individuelle klinische Situation letztlich das Gift bestimmt!

Literatur:

Pinheiro de Almeida J, et al. Transfusion requirements in surgical oncology patients: a prospective, randomized controlled trial. Anesthesiology 2015;122:29-38

 

 

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