EINE REDUKTION DER DIENSTZEITEN BEI AUSZUBILDENDEN ÄRZTEN BRINGT KEINE VERBESSERUNG DER PATIENTENSICHERHEIT!

von Univ.-Doz. Dr. Peter Sandbichler und Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder

Eine neue Studie in den Annals of Surgery untersuchte im Rahmen einer Metaanalyse den Einfluss einer Reduktion der durchgehenden Dienstzeiten von 80!!! auf 16 Stunden bei angehenden FachärztInnen der Chirurgie – in Hinblick auf die Patientensicherheit, Komplikationsraten, Mortalität, das Abschneiden bei Prüfungen und die allgemeine Zufriedenheit der Betroffenen (“Work-Life Balance”).   Insgesamt wurden 135 Studien zu diesem Thema im Rahmen einer Metaanalyse, d.h. einer gemeinsamen statistischen Analyse der Schlüsseldaten der verschiedenen Untersuchungen, ausgewertet.

Eine Reduktion der durchgehenden Dienstzeit führte zu keiner Verbesserung der Patientensicherheit! Im Gegenteil, die Mehrheit der analysierten Studien (79%) fand eine Reduktion der Patientensicherheit und erhöhte Komplikationsraten insbesondere bei Notfallpatienten. Häufigere Übergaben im Rahmen von Dienstwechsel und eine Abnahme der Kontinuität in der medizinischen Versorgung wurden als Ursachen dafür identifiziert!

Als ein weiteres Ergebnis wurde eine Abnahme der Qualität in den – in Amerika obligat durchzuführenden – postpromotionellen Ausbildungs- und Fachprüfungen beobachtet. Jedem erfahrenen Arzt ist dabei völlig klar, dass eine qualitativ hochwertige Medizin nicht aus dem Lehrbuch erlernbar ist. Die Komplexität des menschlichen Organismus erzeugt unterschiedlichste Verhaltensmuster auf scheinbar klar definierte Erkrankungen. Aus diesem Grund müssen tausende Krankengeschichten in der medizinischen Praxis miterlebt, im Gehirn des Arztes gespeichert und bei Bedarf sofort abgerufen werden.

In der täglichen Praxis zeigte sich eindeutig, dass durch die Reduktion der Dienstzeiten Assistenten der Chirurgie deutlich weniger bei Notfalloperationen anwesend waren und die Anzahl der unter Aufsicht eines Lehrers operierten chirurgischen Patienten im Durchschnitt um 25% abnahm. Diese Entwicklung ist für uns Autoren besonders bedenklich. Das Erlernen komplexer chirurgischer Tätigkeiten benötigt besonders viel Training und flexible Anwesenheitszeiten, da sich bekanntermaßen der chirurgische Notfall nicht an definierte Arbeitszeiten hält. Einige Autoren behaupten, dass eine umfassende chirurgische Ausbildung mindestens 10.000 Arbeitsstunden alleine im Operationssaal benötigt. Medizinisches Coaching und Ausbildung bedeuten, dass der Lehrer genug Zeit mit dem Auszubildenden verbringen kann, um seine Schwächen und Stärken zu analysieren und durch Feedback und gezielte Einteilung im Operationssaal seine handwerklichen Fähigkeiten und seine Problemlösungsstrategien in kritischen Situationen zu entwickeln.

Neun der analysierten Artikel beschäftigten sich mit dem Thema “Burn Out” und dem allgemeinen Wohlbefinden der Auszubildenden vor und nach der Reduktion der durchgehenden Dienstzeit. Eine Reduktion der durchgehenden Dienstzeiten hatte weder Einfluss auf das Auftreten von Symptomen eines “Burn Out” noch kam es zu einer wesentlichen Verbesserung des Wohlbefindens der Betroffenen. In einer der analysierten Untersuchungen nahm die Zahl der von den Teilnehmern freiwillig berichteten medizinischen Fehler nach einer Reduktion der durchgehenden Dienstzeiten sogar zu! In einer anderen Studie wurde die Reduktion der effektiven Dienstzeiten von den Auszubildenden als unbefriedigend beurteilt, da sowohl Ausbildung als auch der Einsatz der Ausbildner (Fachärzte und Abteilungsleiter) für die Lernenden darunter gelitten hatte!

Fazit für die Praxis: Wir haben im Rahmen unserer QUALI-MED-Artikel bereits mehrfach auf einen Verlust der Ausbildungsqualität und den letztlich damit einhergehenden Verlust einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung in Österreich aufmerksam gemacht. Bezüglich des Themas „Qualität in der Medizin“ findet der interessierte Leser/die interessierte Leserin einen gleichlautenden Artikel vom September 2014 auf unserer Homepage!

Wir glauben nicht, dass die Mehrzahl der sich in Ausbildung befindlichen Turnusärzte und Fachärzte weniger arbeiten will, um ihre “Work-Life Balance” zu verbessern. Es geht vielmehr darum, dass unsere jungen Kolleginnen und Kollegen für den zeitlichen Mehraufwand, den Sie im Rahmen zahlreicher Dienste und Überstunden in den Krankenhäusern leisten, adäquat bezahlt werden. Die Grundgehälter junger Mediziner sind lächerlich niedrig und wurden z.B. für Bundesärzte an Universitätskliniken schon vor Jahren deutlich gekürzt (sogenannte “1000.- €-Ärzte”). Zusätzlich wurde “heimlich und leise” die frühere Anrechnung von Ausbildungszeiten für die Pensionsberechnung bei Akademikern von der Politik abgeschafft. Da junge Mediziner in der Regel erst mit 25-26 Jahren in ein erstes Angestelltenverhältnis eintreten, bedeutet dies einen erheblichen Nachteil beim Erwerb von Pensionszeiten im Vergleich mit den meisten anderen Berufsgruppen. Gegen all diese Benachteiligungen wurde von unserer Standesvertretung kaum protestiert. Jetzt wird lautstark die sofortige Umsetzung einer 48 Stundenwoche propagiert und das bei einer Erhöhung der Grundgehälter um 30% (z.B. offizielle Forderung der Wiener Ärzetkammer).

In einer Zeit der Rezession und einer fix angekündigten Steuerreform, deren Ausmaß mit ca. 5-6 Milliarden Euro beziffert wird, sind derartige Forderungen als im besten Fall utopisch zu bezeichnen. Unsere Standesvertretung sollte unserer Meinung nach für eine stufenweise Anhebung der Grundgehälter auf ein leistungsgerechtes Ausmaß bei gleichzeitigem stufenweisem Abbau des Zulagen-Systems kämpfen! Die durchgehenden Wochenarbeitszeiten dürfen besonders in der Ausbildung nicht auf 48 Stunden begrenzt werden, da dies zu einem massiven Verlust der Behandlungsqualität in österreichischen Krankenanstalten führen wird. Die wöchentliche Arbeitszeit sollte nach abgeschlossener Ausbildung und erfolgreicher Facharztprüfung mit zunehmenden Alter stufenweise gesetzlich reguliert werden.

In diesem Zusammenhang können wir auch die Hinweise auf „geltendes EU-Recht“ nicht mehr hören. Als wir, als Österreicher, unsere Stimme für ein gemeinsames Europa abgegeben haben, wurde von unseren Politikern der Vorteil einer einheitlichen europäischen Wirtschaftzone und einer gemeinsamen Verteidigungspolitik beschworen. Es war nie davon die Rede, dass eine Europäische Union in die ureigensten nationalen Bedürfnisse unseres Staates eingreifen würde. Für uns ist eine flächendeckende und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung unserer Bevölkerung ein solch schützenswertes Gut. Ebenso muss es im ureigensten Interesse unseres Staates sein einen uneingeschränkten Zugang von nicht-österreichischen Staatsbürgern zum Medizinstudium zu verhindern, um langfristig eine ausreichende Anzahl angehender Mediziner für unser Land sicherzustellen.

 

Literatur: Ahmed N, et al. A systematic review of the effects of resident duty hour restrictions in surgery. Ann Surg 2014; 259: 1041-1053

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